Strümpfelbrunn (Baden-Württemberg)

Kreisgruppe Rhein-Neckar-Odenwald - Reservistenverband Datei:Waldbrunn in MOS.svg Strümpfelbrunn ist heute der Hauptort der Kommune Waldbrunn im Neckar-Odenwald-Kreis - ca. 40 Kilometer östlich von Heidelberg gelegen (Kartenskizzen der 'Region Neckar-Odenwald' mit Eintrag von Waldbrunn, aus: reservistenverband.de/baden-wuerttemberg/rhein-neckar-odenwald/  und  'Neckar-Odenwald-Kreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts bildete sich im kurpfälzischen Strümpelbrunn eine kleine jüdische Gemeinde, die im Laufe ihres Bestehens nie mehr als 80 Angehörige zählte. Das ab 1806 zu Baden gehörende Dorf wurde wegen seiner regelmäßig stattfindenden Viehmärkte auch von Juden aus der Umgebung oft aufgesucht.

Fanden anfänglich Gottesdienste in einem Privathause statt, richtete die Judenschaft um 1830 im Obergeschoss eines Hauses in der Kirchstraße einen Synagogenraum ein. Mehr als ein Jahrhundert war die Synagoge Mittelpunkt des konservativ-orthodox geprägten jüdischen Gemeindelebens in Strümpfelbrunn; so wurden hier bis in die 1930er Jahre religiöse Gebräuche und Traditionen gepflegt - ein Verdienst des langjährigen Gemeindevorstehers Götz Israel. Ganz in der Nähe des Betraumes befand sich das gemeindliche rituelle Bad.

Die bekannteste, das jüdische Leben am Ort über Jahrzehnte hinweg prägende Familie war die Familie Marx; deren prominentester Vertreter war Rabbiner Dr. Lehmann Marx, der u.a. als Rabbiner in Berlin amtierte und ab 1871 Leiter der Religionsschule der Israelitischen Religionsgesellschaft bzw. inoffizieller Rabbiner in Darmstadt war. Amtsnachfolger war sein Sohn Dr. Moses Marx.

Für rituell-religiöse Verrichtungen hatte die Gemeinde einen Lehrer verpflichtet; die Besetzung der Stelle war einem häufigen Wechsel unterworfen.

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Ausgeschriebene freie Lehrerstellen in Strümpelbrunn (Anzeigen von 1868, 1890 und 1901)

Aus dem Jahre 1931 – anlässlich des 100.Bestehens der Synagoge – erschien ein Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" (30.4.1931), in der eine Schilderung der kleinen Gemeinde gegeben wird: „Pessach inmitten des Odenwalds. nach Strümpfelbrunn, das umrahmt von dunklen Wäldern, etwa 600 bis 700 Meter hoch liegt. Das erste Haus dieses Ortes ist das Wirtshaus zum Löwen, das wir besuchen. Dies ist ein Wirtshaus, wie tausend andere und trotzdem so ganz anders als andere, denn der Wirt betätigt sich nicht nur in seinem Berufe, sondern auch in allen anderen Angelegenheiten der Kehillah. Diese Kehilla Strümpfelbrunn hat meist nur am Jomtow (=Feiertag) den Minjan der jüdischen Männer zum Gottesdienst. Als eine lobenswerte Eigenart ist hervorzuheben, daß hier während des Gottesdienstes kein Wort gesprochen wird. Alle Anwesenden sind mit Herz und Seele bei der Tefilloh (=Gebet). Ein Privatmann, der seit Jahrzehnten vorbetet, läßt es sich trotz seiner 75 Jahre nicht nehmen, auch an den Pessachtagen vorzuoren (=vorzubeten) - die gleichen Melodien, wie sie sein Ahne sang. Die Gemeinde feiert in diesem Jahre das hundertjährige Bestehen ihrer Synagoge. Es lockt den Fremden, durch die Fenster der Synagoge zu blicken, um das herrliche Bild in sich aufzunehmen. Eine Eintracht herrscht unter den Mitgliedern, wie man sie ihresgleichen wohl kaum in anderen Landgemeinden antrifft. Diese drückt sich besonders darin aus, daß jeder, der zur Thora tritt, jedem Gemeindemitglied, ob verwandt oder nicht, einen Mischeberach (=Segensspruch) zukommen läßt. Nach dem Gottesdienst geht es wieder zu unserem Wirt. Er versteht, den Seder in altherkömmlicher Weise mit lieblichen und vertrauten Melodien zu geben. Die Festtafel in diesem einfach Dorfgasthof kann von erstklassigen Hotels berühmter Badeorte wohl kaum übertroffen werden. ... Es war ein schönes Fest, das man im Odenwald auf einem gesegneten Fleck Erde bei tiefreligiösen Menschen und bei allerlei Kurzweil verbrachte.“ (Anm.: Artikel gekürzt)

Verstorbene Gemeindemitglieder wurden auf dem seit etwa 1600 bestehenden jüdischen Sammelfriedhof in Hirschhorn* und in Bödigheim beerdigt.

* Hirschhorn selbst besaß nur eine äußerst kleine jüdische Gemeinde mit kaum mehr als zehn Familien.

Die Juden Strümpfelbrunns gehörten seit 1827 dem Rabbinatsbezirk Bödigheim an; nach dessen Auflösung (1850) gehörten sie zum Bezirksrabbinat Mosbach.

Juden in Strümpfelbrunn:

         --- 1825 .......................... 60 Juden (ca. 11% d. Dorfbev.),

    --- 1836 .......................... 78   “  ,

    --- um 1860 ................... ca. 75   “  ,

    --- 1875 .......................... 50   “  ,

    --- 1900 .......................... 41   “  ,

    --- 1925 .......................... 33   “  ,

    --- 1933 .......................... 19   “  ,

    --- 1939 (Sept.) .................. 16   “  ,

    --- 1940 (Sept.) ..................  8   “  ,

             (Nov.) ...................  keine.

Angaben aus: Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, S. 265

 

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten die wenigen jüdischen Familien zumeist vom Viehhandel; Ladengeschäfte besaßen sie hier nicht. Das Gasthaus „Zum Löwen“ wurde von einem jüdischen Einwohner betrieben.

Während des Pogroms im November 1938 - zu dieser Zeit lebten noch fünf jüdische Familien im Ort - wurde der Synagogenraum in der Kirchstraße demoliert, anschließend ausgeräumt und die Ritualgegenstände auf einer Wiese verbrannt; zwei jüdische Gemeindeglieder mussten die Thorarollen dorthin tragen. Das Synagogengebäude wurde später von einem Nachbarn gekauft, abgebrochen und das Grundstück später als Garten genutzt. Auch das Anwesen des jüdischen Gastwirts wurde in den Novembertagen verwüstet und anschließend in Brand gesetzt, nachdem sich die Täter zuvor an den Weinvorräten bedient hatten. Die meist schon älteren jüdischen Männer wurden inhaftiert. Die letzten acht jüdischen Dorfbewohner Strümpelbrunns mussten sich am 22.Oktober 1940 den großen Deportationstransporten nach Gurs anschließen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Ofer der Verfolgung der Juden ..." wurden 22 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort lebende jüdische Bewohner Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/struempfelbrunn_synagoge.htm).

 

Nach Auskunft des Bürgermeisteramtes Waldbrunn erinnern in Strümpelbrunn keine (offiziellen) Gedenk- bzw. Mahntafeln an die einstigen jüdischen Bewohner des Ortes. Da ein Großteil des Gemeindearchivs „in den Wirren des 2.Weltkrieges“ vernichtet wurde, liegen heute nur noch sehr wenige Unterlagen zur ehemaligen jüdischen Gemeinde vor.

Gedenkstein in Strümpfelbrunn   Schüler/innen einer 9.Klasse der Winterhauchschule haben - im Rahmen des landesweiten Mahnmal-Projektes zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden nach Gurs – einen Memorialstein gestaltet, der zusammen mit zahlreichen anderen auf dem Gelände der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern steht (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de). Der Vor-Ort-Stein steht am Eingang des Friedhofs von Strümpelbrunn.

 

 

 

Weitere Informationen:

Ludwig Braun, Chronik des Evangelischen Kirchspiels Strümpelbrunn, o.O. 1897

Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart , Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 265/266

Herbert Schultheis, Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 3, Bad Neustadt a. d. Saale 1986, S. 114 f.

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 492/493

Strümpfelbrunn, in: alemannia-judaica.de (mit zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Angaben des Bürgermeisters von Waldbrunn, 2005